„Wohlstand, Bildung und Freiheit für Alle!“

Kennen Sie Lörrach? Lörrach war drei Tage lang Hauptstadt der deutschen Republik. Am 21.9. 23 waren es genau 175 Jahre, seit Gustav Struve aus seinem Schweizer Exil ins Dreiländereck zurückkehrte und mit Hilfe örtlicher Gesinnungsgenossen das Rathaus besetzte. Aus einem Fenster heraus hielt er eine Rede und rief die deutsche Republik aus.

Hoch lebe die Demokratie!
„Hoch lebe die Demokratie!“

Später forderte er das deutsche Volk per Flugblatt zu Taten auf:

„Der Kampf des Volkes mit seinen Unterdrückern hat begonnen . Selbst in den Straßen der Stadt Frankfurt a . M. , am Sitze der ohnmächtigen Centralgewalt und der geschwäßigen konstituirenden Versammlung ist auf das Volk mit Kartätschen geschossen worden . Nur das Schwert kann das deutsche Volk noch retten.“

Ganz Lörrach stand am letzen Donnerstag im Zeichen dieses Mannes und seiner Ehefrau, Amalie Struve.

Zur Erinnerung an diese revolutionären Vorgänge´ wurde am 20.9.2023 im „Dreiländermuseum“ eine Sonderaustellung eröffnet. „Wohlstand, Bildung, Freiheit für Alle“, lautete der Leitsatz Struves, mit dem er die politischen Erlasse vom September 1848 im republikanischen Regierungsblatt überschrieb – entsprechend, heißt die Ausstellung: „Der Ruf nach Freiheit. Revolution 1848/49 und heute“.

Zur Eröffnung der Sonderausstellung in der Evangelischen Stadtkirche stand die Freiheit und besonders die Meinungsfreiheit im Zentrum der Überlegungen des Oberbürgermeisters Jörg Lutz. Obwohl der OB dies nicht benannte, beschlich de:r Zuhörer:in der Eindruck, die in den letzten Jahren sichtbar gewordene Allianz aus Querdenker:innen und Corona-Leugner:innen wäre ausschlaggebend für das Therma gewesen. Die Aussage einer der Austellungsmacher:innen, Selina Thomann, gegenüber der Badischen Zeitung lässt vermuten, dass dies tatsächlich er Fall gewesen sein könnte: „Doch heute gelte es, Freiheit und Demokratie wieder zu verteidigen.“

Und auch in der Rede des OB nach der „Revolutionszeremonie mit inzinierter Ausrufung“ war dieses Thema präsent. Lutz wandte sich expliziet an einige Anwesende , ein „Grüppchen, das sichtbar in Opposition steht zu den demokratischen Spielregeln“, wie Sabine Ehrentreich in ihrem Kommentar schreibt, und lud sie ein den Rat zu besuchen.

In seiner Ansprache wiederholte Lutz zudem eine Aussage aus dem Vorwort zum Festtags-Programm für den Tag der Demokratie. Wohlstand, Bildung, Freiheit für alle, seien „Forderungen, die heute für uns glücklicherweise Normalität sind.“ Als Forderungen, ok, aber die bundesweiten Bildungsdemos, die in „16 Bundesländer, 29 Städte, 25.000 Menschen!“ stattfanden, zeigen, genauso, wie die Debatte um Kinderarmut, dass die Forderungen längst nicht erfüllt sind. Mit ihrem Vortrag des Liedes von Mikis Theodorakis „Freiheit. Gleichheit und soweiter“ erinnerte Anita Morasch an die Unfreiheiten, die in einer Diktatur herrschen und ließ damit unsere Unfreiheiten vergleichsweise klein erscheinen.

  • Hoch lebe die Demokratie!

Die letzte Strophe des Liedes führt dann wieder zu Struve:

„Vor dem Gesetz sind alle gleich
Die gleichen Rechte, gleichen Pflichten
Und danach müssen wir uns richten
Das gilt für jegliche Bereich
Vor dem Gesetz sind alle gleich
Nur eine Minderheit ist gleicher
Und die ist auch ein bisschen reicher.
Nur eine Minderheit ist gleicher
Und die ist auch ein bisschen reicher.“

Quelle: Musixmatch

In Lörrach konnte der Eindruck entstehen, Struve sei ein Liberaler gewesen. Veit Valentin, dessen zweibändige Abhandlung über das politische Geschehen von 1848/49 als Standardwerk gilt, rechnet ihn eher zu den Linken.

„Struve war kein Kommunist und wäre von Karl Marx wohl auch dann bitter verhöhnt worden, wenn er mehr Erfolg gehabt hätte. Vom vormarxistischen Sozialismus steckt aber viel in ihm; internationale Kampforganisation lag ihm fern: er wollte ein sozial-republikanisches Deutschland auf gewaltsamem Wege.“

Veit ValentinGeschichte der deutschen Revolution 1848–1849, Band 2: Bis zum Ende der Volksbewegung von 1849, ebook

Bereits in Offenburg hatten Hecker und er neben Freiheitsrechte, Mitwirkungsrechte auch soziale Rechte gefordert. Gert Haller sieht hinter diesem Forderungskatalog „die Vision einer freien, demokratischen und sogar auch sozialen Republik.“ Jutta Limbach nennt die Offenburger Forderungen „ein Bekenntnis zur sozialen Demokratie“ (Limbach, J.). Fasst man die Positionen zusammen, könnte man Struves Handeln als visionär-„revolutionäre Realpolitik“ bezeichnen und seine politische Position im weiteren Sinne als die eines Frühsozialisten etikettieren.

Balkonszene

Gustav Struve und Markus Pflügler tauchen mit den Händen redend auf. Sie sehen sich einer Menge von rund 200 Wartenden entgegen und verschwinden im alten Rathaus, in dem heute die Volkshochschule residiert. Gleich darauf stehen sie auf dem Balkon und sprechen zu den Lörracher:innen und interpretieren die Szene sympathisch neu.

Die Darsteller des Revolutionärs Struve und des Hauptmanns der örtlichen Bürgerwehr, Pflügler (Andreas Glattacker und Hansi Gempp), sind in Lörrach bekannte Persönlichkeiten der Fasnacht und entsprechend beliebt. Nach 2015 ruft das revolutionäre Duo schon zu zweiten Mal als Struve und Pflügler am Tag der Demokratie die Republik aus.

Struve: „…. In Gedenken dieser revolutionären Tat, rufe wir euch auf, die ihr zuhauf hier erschienen seid, mit den Waffen gegen die unerträgliche Tyrannei der Herrschenden für die Demokratische Republik zu kämpfen.“
Pflüger: „Wohlstand, Bildig un Freiheit für alli, dess sinn unseri zentrale Forderige.
Struve: „Dafür bilde wir eine provisorisch Regierung unter meiner politischen Führung, dem militärischen Führer „Löwenfels“ und dem Beauftragten für Zivilangelegenheiten „Blind“
Pflüger: Jawoll, Struve, jawoll un Lörrach würd d`Hauptstadt vom befreiten Dütschland si.
…..
Struve & Pflüger: Hoch lebe die Demokratie

Seit 2015 das erste Mal der Tag der Demokratie in Lörrach gefeiert wurde, ist Pflügler bei der Proklamation der Republik an Struves Seite. Historisch sprach Struve (vermutlich alleine) aus einem Fenster zu den Menschen, so erinnert er sich in seiner „Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden“ (Google book, S. 118) und steht es auch auf der Internetseite der Stadt Lörrach. Andere Autoren und Quellen u.a. im Wikipedia-Artikel: Gustav Struve, aber auch die Seite: 175 Jahre Revolution 1848/1849 und ein Aufsatz im Sammelband: Gustav Struve. Turner, Demokrat, Emigrant (S.19), geben den Balkon als Ort der Ausrufung an. Das ist immerhin ein Podium, das fotogener ist als ein geöffnetes Fenster.

Ein anderes Beispiel für die etwas unklare Quellenlage oder für den Revolutionsmythos sind die Umstände bei Struves Verhaftung. Die Stadt Wehr schreibt auf ihrer Internetseite: „Am Vormittag des 25. September 1848 wurden der Freiheitskämpfer und Revolutionär Gustav von Struve und seine Frau Amalie im Gasthaus Krone verhaftet.“ Und das Gasthaus macht Werbung mit dieser Geschichte: „Vom Wirt des Gasthauses verraten und vom Wehrer Bürgermeister verhaftet, ist dank Struve, dieses letzten Helden des Widerstands, die Krone, heute eine historische Rarität.“ Struve selbst stellt in der „Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden“ die Verhaftung in Wehr etwas anders dar. „Dort wurden sie von den bereits vorausgeeilten Schopfheimern zuerst bewacht und dann an den groß herzoglichen Amtmann Schey von Säckingen ausgeliefert.“ (S. 132) Die Landeszentrale führt beide Berichte zusammen und erklärt: „Wie instabil die Lage in Wehr war, zeigt die Verhaftung Struves am 25. September 1848 im Gasthaus „Krone“. Sie zog sich von morgens ca. 8 Uhr bis gegen nachmittags 14 Uhr hin. Die Initiative zur Arretierung hatten zudem nicht Wehrer, sondern Schopfheimer Bürger ergriffen.“ Prost!

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert